#28: Dresscode im Museum
Shownotes
Zum Ende des Jahres ziehen bei uns wieder Poesie und Literatur ins Herzoglichen Museum und ins Schloss ein. Unter dem Titel „Dresscode“ hat Isabelle Lehn acht Objekte betextet. Da geht es um Scham, Macht, um große Stiefel, kleine Pantoletten und auch um Frauen- und Männerschürzen.
Beitrag 1: Kerstin Volker-Saad betreut die ethnologische Sammlung der Friedenstein Stiftung. Sie berichtet von ihrem wissenschaftlichen Blick auf die Objekte, von der Zusammenarbeit mit Isabelle Lehn und von einem mysteriösen Fund…
Beitrag 2: Alfred von Sachsen-Coburg und Gotha, geboren in Windsor Castle, war kein Freund des Weihnachtsbaums. Dabei war sein Vater, oder zumindest seine Familie doch dafür verantwortlich, dass sich das Tannenbaumfieber auch in Großbritannien verbreitete.
Wer alle acht Objekttexte anhören will: https://dresscode-literarische-objekttexte.podigee.io/
Hier kommt ihr zu den Büchern von Isabelle Lehn beim Fischer-Verlag: https://www.fischerverlage.de/autor/isabelle-lehn-1009084
Mehr über die ethnologischen Objekte in der Friedenstein-Sammlung findet ihr hier: https://www.friedensteine.de/artikel/dialog-der-welten
oder auf: gotha.digital
Die Weihnachtsbaumidylle der englischen Königsfamilie hat es bis in Wikipedia geschafft: https://de.wikipedia.org/wiki/Weihnachtsbaum
Und eine etwas andere Version der Weihnachtsbaumgeschichte erzählt die Bayerische Schlösserverwaltung: https://schloesserblog.bayern.de/geheimnisse/oh-tannenbaum-oh-christmas-tree-wie-ein-coburger-prinz-den-weihnachtsbaum-in-england-populaer-machte
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Kerstin Volker-Saad: Ein Zettel. Und dieser Zettel war handgeschrieben, der zeigt Mitte des und besagte Schuhe aus
Isabelle Lehn: Perlenschutz. Gesehen bei Victoria's Secrets um 1852 in Guayana.
Speaker 3: Friedensteinfunk, der Podcast der Friedenstein Stiftung Gotha. Folge 28 Dresscode im Museum
Susanne Finne-Hörr: Herzlich Willkommen und hallo zu unserer Weihnachtsfolge. Es ist die Zeit der schönen Worte, zum Beispiel des Wortes Besinnlichkeit, das schreit uns ja momentan oft aus der Werbung entgegen und das Wort ist allerdings etwas abgenutzt und ramponiert, obwohl es ja eigentlich eine sehr schöne Bedeutung hat und deshalb laden wir euch mit dieser Folge einmal so ein bisschen uns auf die Sprache zu besinnen und den Wörtern nachzuspüren und deshalb freut es mich sehr, so einen tollen Gast hier zu haben, deren Beruf auch die Sprache ist. Hallo Isabelle, Isabelle Lehn.
Isabelle Lehn: Ich freue mich, hier zu sein.
Susanne Finne-Hörr: Du bist Autorin. Mein Name ist übrigens Susanne Finne-Hörr. Ich bin Podcast Host und normalerweise Pressesprecherin. Bei uns geht es heute um die Reihe die Beredsamkeit der Dinge, aber bevor wir dazu kommen, vielleicht erst mal zu dir. Also du bist 1979 in Bonn geboren, lebst jetzt in Leipzig. Du bist nicht nur Autorin, sondern auch promovierte Rhetorikerin. Das heißt, du hast wahrscheinlich ein sehr besonderes Verhältnis zur Sprache. Hat diese Promotion oder vielleicht auch das Beschäftigen davor mit Sprache dich verändert oder die Beziehung zur Sprache verändert?
Isabelle Lehn: Vielleicht, ich denke mal höchstwahrscheinlich schon, dass ich Sprache natürlich als Instrument wahrnehme, um Wirkung zu erzielen, um Menschen zu beeinflussen, ein Instrument, mit dem man auch sehr verantwortungsbewusst umgehen muss und sollte und mit großer Genauigkeit und dass es mir eben auch oft um sprachliche Klarheit geht, weil jede Form von sprachlichem Schmuck von Abweichung von der Normsprache immer wieder auch eine Verdunklung sein kann, also dass Sprache ambivalenter wird, dass Sprache uneindeutiger wird und dass in diesem Hallraum, den man mit Sprache aufmachen kann, natürlich auch sehr viel hineingedeutet werden kann, was sich ja auch populistische Rhetorik mitunter zunutze macht. Und ja, also das Ringen um sprachliche Klarheit ist, glaube ich, intensiver geworden. Susanne Finne-Hörr Das heißt, du bist weg von den Schnörkeln gekommen? Isabelle Lehn Nicht unbedingt. Nee, das macht ja auch Spaß. Das ist ja auch das Schöne, mit Sprache zu spielen, mit Klang, Rhythmus, Doppeldeutigkeiten von Sprache, von Wortbedeutung zu spielen. Aber das sicherlich sehr bewusst einzusetzen, sehr bewusst zu tun und auch zu hinterfragen, wenn das andere tun.
Susanne Finne-Hörr: Mhm, noch einmal kurz, du hast grad gesagt, dass du damit auch Leute beeinflussen möchtest.
Isabelle Lehn: Nee, aber das ist sicherlich eine Qualität, die die Sprache und Rhetorik wirkungsbezogene Sprache hat. Das Sprache ja ein Werkzeug ist, um Überzeugung zu beeinflussen, zu argumentieren, aber auch Gefühle zu schüren, Ängste zu erzeugen, an Furcht zu appellieren, Feindbilder aufzubauen. Das erleben wir gerade überall.
Susanne Finne-Hörr: Du hast allgemeine Rhetorik vorher studiert, du hast auch Erziehungswissenschaften studiert und Ethnologie, das wird jetzt später gleich noch interessant werden. Du hast drei Romane verfasst, der letzte, “Die Spielerin”, ist letztes Jahr 2024 im S. Fischer-Verlag erschienen und an sich bist du ja eher in den langen Genres unterwegs, also schreibst Prosa, Essays. Wir haben dich jetzt vor die Herausforderung gestellt, sehr kurze Texte zu schreiben. Maximal 600 Zeichen mit Leerzeichen. Ist dir das schwer gefallen?
Isabelle Lehn: Ja, nein, also ich schätze die kurze Prosa sehr, weil es da wirklich die Möglichkeit gibt, jedes Wort zu hinterfragen und ganz gezielt, ja, sich zu beschränken. Also ich glaube, dass viele Texte auch davon profitieren, wenn man ihnen Kürzungen verpasst, wenn man Streichungen sehr gezielt setzt, wenn sich wirklich konzentrieren muss. Also die konzentrierte Form und die Konzentration auf das Minimalistische, das finde ich schon sehr, sehr reizvoll. Das vermisse ich auch manchmal beim Romanschreiben, dass ich das Gefühl habe, ich kann nicht jeden Satz, nicht jede Seite perfekt machen, weil das einfach eine Masse an Material ist, der ich dann nicht gerecht werden kann. Insofern war das sehr schön, mich mal beschränken zu müssen. Es kann ja auch eine große Freiheit sein, so einen Rahmen zu setzen und zu wissen, ich darf den nicht überschreiten, also auch das kann wiederum. Über Notlösungen zu ganz eigenen Ergebnissen führen, mit denen man sonst gar nicht gerechnet hätte. Und trotzdem war es natürlich schwer, also hier und da noch was rauszustreichen. Und da war ich auch froh, dass ich in dir eine Redakteurin hatte, die mich unterstützt hat. Hier und da nochmal einen Kürzungsvorschlag zu machen, ja, 600 Zeichen sind nicht viel.
Susanne Finne-Hörr: Ja, vielleicht nochmal kurz zum Hintergrund, warum du das überhaupt gemacht hast. Also es geht um die Reihe “Die Beredsamkeit der Dinge”, das ist eine literarische Intervention im musealen Raum und mit deinen Texten ist etwas Poesie bei uns ins Museum eingezogen, sowohl ins Herzogliche Museum als auch ins Schloss. Du hast den Objektexten ein Pendant, ein literarisches zur Seite gestellt. Normalerweise sind diese Objekttexte eher sehr sachlich gehalten, wissenschaftlicher Duktus, meistens sind die Schilder zu klein, man sieht sie nicht. Und du folgst anderen Autoren nach, das ist jetzt das vierte Mal, dass wir das machen. Zuerst war es Miku Sophie Kümel, dann kam Elisabeth R. Hager und im letzten Jahr war es Yannic Han Biao Federer. Und vielleicht, bevor wir jetzt hier ewig erklären, springen wir einfach mal direkt ins Sujet rein. Es geht um Konrad Meits Figuren “Adam und Eva” und der wissenschaftliche Text, der jetzt bei uns im Herzoglichen Museum hängt, lautet so: Konrad Meit, um circa 1470/85 bis 1550/51, Adam und Eva; Buchsbaum, teilweise farbig gefasst, um 1515. Erworben unter Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg, 1772 bis1822. So, das ist jetzt die Kurzfassung und du? Was hast du daraus gemacht?
Isabelle Lehn: Ja, nicht mehr, aber was anderes. Mhm, also auch 600 Zeichen, aber ja, mal sehen. Ich blättere mal hier. Konrad Meit, Adam und Eva. Dann designte Gott den Menschen nach seinem Bilde, betrachtete alles und hatte seine Freude daran. Ein glänzendes Adamskostüm, wie aus Buchsbaumhaut, poliert und von der Sonne lasiert. Mann und Frau waren nackt. In ihrem Kleid für die Ewigkeit, bis sie von den Früchten des Wissens aßen. Davon wirst du klug werden, versprach eine Schlange und Eva bis in den Apfel. Zur Strafe gab Gott ihr das Wissen um den eigenen Körper, der nie wieder gut genug sein würde. Er gab ihr Schmerz und Begehren, um sich an Adam zu binden und von ihm gesehen zu werden. Die Geschichte der Mode beginnt mit der Erfindung der Scham. Mit Evas Streben nach Klugheit und dem verbotenen Accessoire einer Schlange.
Susanne Finne-Hörr: Das ist der erste Text von acht Texten in einem kleinen Booklet, das jetzt entstanden ist. Und er ist eigentlich auch ein sehr schöner Einführungstext in die ganze Reihe, der du den Namen “Dresscode” gegeben hast. Warum?
Isabelle Lehn: Ja, wie es in diesem Text schon heißt, die Geschichte der Mode war so ein bisschen mein Zugang zu diesen Objekten. Und zwar finde ich es bei Auftragsarbeiten, und das war ja letztlich eine Auftragarbeit, immer ganz hilfreich, mir einen Rahmen zu setzen. Das kann ein Rahmen sein, thematischer Art, wie eben den Blickwinkel der Mode auf Objekte zu werfen, die vielleicht gar nichts mit Mode zu tun haben. Also Adam und Eva sind nackt, hier war das Stichwort für mich das Adamskostüm. Ich habe auch über eine Mumie geschrieben, in ihrem ewigen Kleid, über einen Stiefel im Schloss, der ein Overknee ist, aber letztlich für Macht oder den Verlust von Macht steht, indem man jemandem nicht nur seine Kurfürstenwürde, sondern auch diesen riesigen Stiefeln abgenommen hat, nach einer Schlacht. Also Mode als thematischer Blickwinkel, als Möglichkeit, mich eines fremden Registers, eines fremden Vokabulars zu bedienen. Ich habe nämlich überlegt, was würde denn passieren, wenn man diese historischen Objekte oder aus einem völlig fremdem kulturellen Zusammenhang stammenden Objekten mit dem Vokabular von Modezeitschriften beispielsweise betrachtet. Da kommen dann Sätze vor wie “ein Must-Have” oder Begriffe wie, ja, aus der Mode eben “XXS” oder “ein absoluter Hingucker” oder sowas, also Phrasen, die wir aus Modezeitschriften, aus dem Modejournalismus kennen. Und das dritte war, dass ich dann auch einen Referenzraum hatte, was Popkultur angeht, also auch was sehr Gegenwärtiges. In einem Text geht es um grüne Pantoletten und jemand, ja, der, wir sind ja im ähnlichen Alter, der Ende der 90er Jahre sozialisiert wurde, medial, der denkt bei Schuhen an Serien wie “Sex and the City” und Carrie Bradshaw. Und die stiefelt dann eben durch diesen einen Text oder oder klappert viel mehr in diesen Pantoletten durch Midtown Manhattan
Susanne Finne-Hörr: und es tropft fast Mayonnaise auf diese schönen Schuhe.
Isabelle Lehn: Senf! Vom Hot Dog auf diese historischen Schuhe, deren Ursprung sie gar nicht kennt. Genau. Und da kommen dann ganz viele Ideen, wenn man sich so einen Rahmen setzt, thematisch eben wie Mode. Und ich finde Mode aber auch ein ganz interessantes CG, um auf sehr viel mehr zu blicken als auf die ästhetische Oberfläche dieser Objekte, weil Mode ja auch, deshalb der Titel “Dresscode” auch, weil Mode uns ganz viel über... Kulturelle Zeichen, kulturele Codes erzählt, also welche sozialen Normen gelten in einer Gesellschaft. Konzepte von Scham beispielsweise werden da wirksam. Was ist Nacktheit? Wann geht man als nackt, wann geht man als bekleidet? Reicht es zum Beispiel, einen Ländenschurz, einen Schamschurz zu tragen und dann ist man bekleidet? Geschlechterrollen spielen eine Rolle. Dann haben wir Objekte drin, die geben eigentlich Aufschluss über religiöse Vorstellungen oder rituelle Praktiken. Und was ich eben schon gesagt habe, Macht, also wird repräsentiert durch sehr aufwendig gestaltete Mode. Jemand hat die Ressourcen, sich etwas unglaublich Kostbares anzuziehen, am Körper zu tragen. All das waren Aspekte, die kann ich über den Begriff der Mode miterzählen oder darauf blicken ausgehend von meinen vermeintlich sehr profanen Modetexten. Und das hat mich gereizt, auch dieser Kontrast zwischen dem sehr großen kulturellen Bedeutungshintergrund Objekte und meinem profanen. Werkzeug, das ich hier gewählt habe.
Susanne Finne-Hörr: Ja, du bist auch sehr gut vorbereitet nach Gotha gekommen. Normalerweise laufen wir durchs Museum und dann sehen die Autoren zum ersten Mal die Objekte. Und du hast was Besonderes gemacht. Du hast nämlich auch schon mal bei Goetha digital gestöbert vorher. Das ist eine wissenschaftliche Datenbank, auf der sämtliche oder sehr viele von unseren Objekten ausgespielt werden, auch wieder mit den Informationen der Objekttexte. Und, du hast dir Objekta ausgesucht, die eigentlich bei uns normalerweise im Depot sind.
Isabelle Lehn: Ja, genau. Also ich habe erst mal mir die Texte und die Herangehensweise meiner VorgängerInnen angeguckt und fand es bei Elisabeth A. Hager ganz schön, dass sie mit Talking Heads eben auch so einen thematischen Rahmen hatte. Sie hat ja über Skulpturen oder über Büsten geschrieben, über Köpfe, aus deren Perspektive sie spricht. Und ja, so einen Zusammenhang zu haben, das fand ich halt schön und deshalb habe ich gedacht, ich kann ja schon mal vorab ein bisschen gucken, was ich da anbieten würde. Und bin dann darauf gestoßen, oh, es gibt ja auch eine ethnografische Sammlung. Und da, du hast es erwähnt, ich vor vielen, vielen Jahren mal Ethnologie studiert und abgeschlossen habe, hat mich das besonders interessiert. Und ich habe online schon mal ein bisschen gestöbert und habe dann eben das Glück gehabt, dass vor Ort in Gotha, du mich ja bekannt gemacht hast, mit Frau Volker Saath, die als Ethnographin eben diese Sammlungen auch betreut und bearbeitet. Und mir die Schatzkammer gewissermaßen geöffnet hat, also die Türen zum Depot, wo sie dann diese Objekte herausgeholt hat, mir präsentiert hat und mir natürlich auch sehr viel dazu verraten hat, woher die stammen, was man weiß über diese Objekt und was man auch alles nicht weiß, diese Leerstellen, die ich vielleicht dann auch fiktional füllen konnte. Das war einfach toll und fast auch schade, dieser Gedanke, dass diese Objekte im Depot sind, dass die nicht täglich zu sehen sind, auch im Museum, weil der der Bestand natürlich so viel größer ist, als der Raum, der an Ausstellungsfläche zur Verfügung steht. Und auch das war dann wirklich schön durch diesen literarischen Zugang, diesen Objekt noch mal zur Sichtbarkeit zu verhelfen.
Susanne Finne-Hörr: Das Schöne ist, dass Frau Volker Saath uns, den Hörerinnen und Hörern, auch nochmal die Schatzkammer geöffnet hat und in dem Fall Claudia, die sie besucht hat. Claudia: Also so richtig… hmm… Schatzkammer? Funkelnde Edelsteine? Glänzendes Gold?! Sieht eher klinisch-sachlich aus, hier im Depot. Frau Volker-Saad, helfen Sie uns! O-Ton Volker-Saad: Also erst mal ist die Schatzkammer wirklich unspektakulär, ist eigentlich ein bisschen banal, weil die Objekte liegen ja alle irgendwie geordnet nach einem System, was man vielleicht gar nicht so richtig durchblicken kann, in den Regalen hinter Türen. Und diese Türen sind aus Metall in Grau… aber die Objekte selber, die liegen also auf diesen Regalen und eigentlich ohne den Kontext weiß man nicht so richtig: Was macht man eigentlich damit? Oder ist das jetzt was Besonderes? Oder ist das was Wertvolles? Aus welchem Material sind die eigentlich? Und sie sehen eher ein bisschen, wie soll ich sagen, nicht so strahlend aus manchmal. Man denkt erst mal: „Hm, was ist das denn? Sind das irgendwie so Handarbeiten, oder wieso sammelt man so einen Metalllöffel?“ Das ist ja schon doch alles ein bisschen schräg. Claudia: Aber doch nur, wenn man den Kontext nicht bedenkt! Denn sobald die Ethnologin ein Objekt aus dem grauen Metallschrank nimmt, poppen gleich die ersten Fragen auf: O-Ton Volker-Saad: Wozu gehören diese Objekte? Was kann man damit machen? Wem haben diese Objekte einmal gehört? Welche Geschichte haben sie eigentlich? Wie weit sind sie gereist? Von wo bis wo sind sie gereist und durch wessen Hände sind sie gegangen? Und dann wird plötzlich aus so einem banalen Objekt etwas ganz Besonderes. Und ich glaube das in dieser Kombination kann man ganz gut als Schatzkammer verstehen. Als wir zusammentrafen, war das erst mal die erste Begegnung von einer Schriftstellerin mit einer Ethnologin. Und das heißt, eine Schriftstellerin hat Ideen und möchte etwas entwickeln und die Ethnologin hat Objekte, die sie von der Geschichte her besonders spannend findet, von den Materialien her besonders spannend findet, von der Webart oder von der Technik, wie es hergestellt wurde. Und nun mussten sich zwei Disziplinen treffen. Und das hat mir auch gezeigt in diesem Zusammenspiel, dass ich als Wissenschaftlerin andere Triggermomente habe bei diesen Objekten, als sie als Schriftstellerin hat. Und ich würde vielleicht eher vom Faktischen ausgehen. Und sie hat ihre Gedanken und die Ideen zu diesen Objekten auf eine andere Ebene gehoben und hat sie, glaube ich, zugänglicher gemacht für Menschen, die kaum Einblick haben in außereuropäische Kulturen. Und ich glaube, das ist ein wichtiges Verdienst, dass sie das geschafft hat. Es wird bei Isabelle Lehn nicht evolutionistisch argumentiert, sondern jedes Objekt an sich schlägt fast Kapriolen in sich selbst. In diesen 600 Zeichen, die sie hatte, geht sie auch nicht auf die faktische Beschreibung ein. Sie nimmt Informationen heraus und transformiert diese zu einem eigenen literarischen Kunstwerk. Also ein Kurztext, der dieses Objekt aufnimmt, die Qualität dieses Objektes aufnimmt, eine faktisch historische Information mitverarbeitet, ohne dass es einfach nur schlicht und einfach ein historischer Text wird, sondern im Gegenteil, eigentlich teilweise ein fröhlicher, teilweise ein ernsterer, aber immer ein Text, über den man lange auch noch nachdenken kann. Claudia: Also eine Inspirationsquelle, sogar für die Wissenschaftlerin? O-Ton Volker-Saad: Ich glaube, wenn man da guckt in der Reziprozität, dass das auch wieder für mich neue kreativen Ideen bringt, wie man ein Objekt sehen kann, wie man es beschreiben kann, ist es doch insgesamt eine sehr gelungene Zusammenarbeit und auch Arbeit, die dabei entstanden ist in dieser Kombination. Claudia: Die auf den ersten Blick unspektakuläre Schatzkammer ist in Wirklichkeit ein interdisziplinärer Inspirationsraum! Besser kann es nicht laufen. Und damit geben wir zurück ins Studio.
Susanne Finne-Hörr: Ich erinnere mich noch, wie wir da standen und dann so viel Schönes entdeckt haben und du dann auch Schwierigkeiten erstmal hattest, etwas rauszusuchen. Aber du hättest genauso gut ja auch Gemälde oder Meißenporzellan, Böttgersteinzeug oder so nehmen können. Aber du hast ja, wie du auch gerade gesagt hast, bist du in Richtung Ethnologie gegangen. Warum hast du dich damals dafür entschieden, Ethnologie zu studieren und fremde Kulturen kennenzulernen?
Isabelle Lehn: Ich könnte jetzt viele sehr gut klingende Antworten geben, unter anderem, dass ich, also mein Hauptfach war Rhetorik, mir war immer klar, dass sich was mit Sprache machen möchte. Und dann waren da auf einmal noch zwei Nebenfächer offen und dann, ja, habe ich vielleicht eher intuitiv neben einer Sprachwissenschaft, eine Sozialwissenschaft und eine Kulturwissenschaft gewählt. Ich wollte in Richtung Journalismus da mitgehen und dachte, naja. Wenn es mich dann irgendwann zu sowas wie Geo verschlägt oder National Geographic, also ich habe mal klein gedacht, dann passt das vielleicht ganz gut, also über fremde Kulturen etwas zu lernen und zu schreiben, das war so ein bisschen die Idee dahinter. Aber tatsächlich wusste ich gar nicht so wirklich, worauf ich mich einlasse und im Nachhinein bin ich aber sehr dankbar, dass ich dieses Studium gemacht habe. Weil es mir Zugang zu ganz verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen eröffnet hat. Also wir haben wirtschaftswissenschaftliches Wissen erworben, sozialwissenschaftliches Wissen, religionsethnologisches Wissen. Natürlich den theoretischen Hintergrund und die Geschichte auch des Faches. Aber es ist ein sehr breites Instrumentarium, das ich an die Hand bekommen habe. Ein sehr breiter kulturwissenschaftlicher und auch sozialwissenschaftlicher Überblick, der mir in diesem Fach vermittelt wurde. Ja, davon profitiere ich bis heute und auch in meinen letzten Romanen ist immer noch etwas von diesem Wissen eingeflossen mit einem Stück Kolonialgeschichte, das in der “Spielerin” erzählt wird.
Susanne Finne-Hörr: Lass uns gerne über den Roman später noch sprechen, ich fände es schön, wenn du noch mal einen Text lesen könntest, weil die wirklich alle wunderschön sind. Vielleicht den Perlenschutz?
Isabelle Lehn: Genau, das habe ich ja schon angedeutet. Konzepte von Nacktheit, von Scham. Damit beginnt es ja auch. Die Geschichte der Mode beginnt mit der Erfindung der Scham und der zweite Text, da geht es dann um den Perlenschurz, um die Scham zu verhüllen. Perlenschurz. Gesehen bei Victoria's Secrets um 1852 in Guayana. Ein Must-Have für Frauen nach der Menarche. Erste Blutung, rot wie ein Apfel. Gewebt in Trapezform aus Perlen- und Pflanzenfasern, schützt der Schurz die Essentials der Trägerin und dient als Accessoire ihres Schamgefühls. In kälteren Gegenden wird er gern über der Kleidung getragen. Als Uniform der Caretakerin, der Kellnerin des Zimmermädchens. Ob Reinigungskraft in der Kittelschürze oder Arbeitskraft am heimischen Herd, wir kleiden uns in weibliche Rollen, wenn wir eine Schürze anlegen. Weshalb Männer ihre Scham vor der Schürze allzu gern ironisch verhüllen. “Hier grillt der Chef noch persönlich.”
Susanne Finne-Hörr: Ja, das ist super. An der Stelle habe ich laut gelacht, als ich das zum ersten Mal gelesen habe. Hier grillt der Herr noch ganz persönlich. Der Chef. Hier grillet der Chef noch persönlich. Hier grillt der Chef persönlich, genau. Und du schreibst von weiblichen Rollen und du hast ja auch den Dietrich-Oppenberg-Medienpreis für deinen Aufsatz weibliches Schreiben bekommen. Das heißt, Weiblichkeit, Weiblisches spielt eine Rolle. Wie weiblich schreibst du?
Isabelle Lehn: Ja, gute Frage. Also, der Aufsatz eigentlich müsste auch im Titel der Begriff weibliches Schreiben in Anführungszeichen stehen, weil das letztlich auch ein sehr Stereotyperblick auf Schreibweisen ist, der auch eine abwertende Funktion hat in der Literaturkritik, in unseren Beurteilungsmechanismen, wie wir Literatur bewerten. Und was als weiblich gilt, ist ein sehr etwas emotionales... Etwas Assoziatives, etwas gedanklich nicht so kontrolliertes und vielleicht auch Stoffe, die eher einer vermeintlich weiblichen Sphäre zuzuordnen sind, also ja, Liebesgeschichten oder das, was dann eben auch häufig als Frauenliteratur eingeordnet wird. Und diese Stereotype spielen schon auch in der Literaturkritik eine Rolle. Während bei mir mein erster Roman spielt, von einer Kriegserfahrung oder zumindest einer simulierten Kriegs- erfahrung in einem Trainingscamp für Afghanistan-Soldaten, “Binde zwei Vögel zusammen”, hieß dieser Roman, wo ein Statist eben im Rahmen dieser militärischen Ausbildung mitwirkt und später ja so eine Art Identitätskrise wieder mit nach Hause nimmt, weil er nicht weiß, wo endet seine Rolle und wo beginnt er selbst wieder. Und diese ganze Thematik, die dann nochmal in verschiedenen Loops durchgespielt wird, mit mediale Inszenierungen und Realitätsverlust, das waren alles Themen, die wurden eben nicht als weiblich gelesen. Und auch dieser Roman, das war zum Teil auch Thema in den Rezensionen, dass sich eine Frau da ein sehr männliches Thema vorgenommen hätte. Also wir scheinen weibliche und männliche Themen zu haben. Das galt jedenfalls als etwas, das sehr erdacht und konstruiert. Wirkte aus meiner Perspektive, weil das nicht als weibliche Erfahrungswelt wahrgenommen wird. Und tatsächlich fiel an einer Stelle auch der Begriff verkopft für diese Art von Literatur. Das ist nämlich das andere Extrem. Also wenn Frauen nicht weiblich schreiben, in Anführungszeichen, sondern analytisch oder sehr diskursiv, referenziell, das, was in Besprechungen bei Autoren, männlichen Autoren häufig als positive Anmerkungen erwähnt wird, dann gilt es als verkopft etwas, was Siri Hustvedt, die häufig auch als die Frau von Paul Auster...
Susanne Finne-Hörr: Das wollte ich muss gerade sagen.
Isabelle Lehn: Da haben wir ein weiteres Stereotyp oder einen weiteren Nachteil, den man als weibliche Autorin so erfährt, dass man auf sein Privatleben häufig reduziert wird, auf nicht-literarische Kategorien. Und sie hat eben auch erwähnt, dass sie häufig mit diesem Vorwurf des verkopften Blutlehren zu intellektuellen Schreibens konfrontiert wurde, was man Frauen häufig nicht zugesteht, während das, was sie schreiben, automatisch irgendwie trivialisiert wird. Und sich in diesem Spannungsfeld zu bewegen und gleichzeitig Literatur zu schreiben, die ein breites Publikum erreicht und auch männlichen Lesern klarzumacht, das ist für euch auch interessant. Also auch wenn ich zum Beispiel über den weiblichen Körper schreibe, wie in meinem zweiten Roman an “Frühlingserwachen”, da habe ich ganz viele Reaktionen bekommen von männlichen Lasern, die dann sagten, Mensch, also ich hab das eigentlich, wie Bibliotheksleiter für meine Leserinnen gekauft oder angeschafft, dann habe ich es selber gelesen und es hat mich so mitgenommen und ich fand das so interessant. Es würde umgekehrt, wenn das ein Mann geschrieben hätte, eine Frau niemals sagen, weil wir es von Anfang an gelernt haben, aus einer männlichen Perspektive oder Literatur von männlichen Autoren zu lesen, in einem sehr männlich dominierten Kanon in der Schule. Und all das sind Themen, über die ich in diesem Aufsatz geschrieben habe und wie sich dieser erlernte Begriff eines weiblichen oder männlichen Schreibens auch in der Literaturkritik fortsetzt, in der Frage, wie sichtbar werden Autorinnen im Literaturbetrieb, wie viel Renommee hat das überhaupt auch, wenn ein Buch von einer Frau geschrieben ist, oder nehmen wir das automatisch weniger ernst? Und dazu gibt es Zahlenstudien, die zähle ich da so ein bisschen auf, um mir selber einen Überblick zu machen.
Susanne Finne-Hörr: Letztlich hast du das ja auch in deinem letzten Roman, die Spielerin, auch wieder gemacht. Also es geht ja um dieses internationale Finanzwesen und wenn man jetzt eine Kategorie vielleicht drauflegen würde, würde ich sagen, es ist vielleicht auch eher ein männerdominiertes System, aber letztlich hast es anhand einer Frau erzählt.
Isabelle Lehn: Ja, also man muss dazusagen, der Stoff ist insofern historisch, als dass er zurückreicht bis in die frühen 90er Jahre, also da beginnt die Geschichte eigentlich, die aber nicht chronologisch erzählt ist, im zweiten Teil gehen wir dann zurück in die 90er-Jahre und da beginne diese Frau, die im Roman nur A heißt, mit 26 Jahren bei einer großen deutschen Bank in Zürich zu arbeiten, in einem rein männlich besetzten Team. Und das ist die Zeit, in der Angela Merkel, die wir heute als Bundeskanzlerin 16 Jahre lang, hat sie dieses Amt ausgefüllt, in Erinnerung haben, eine Zeit, in der Merkel als Kohl's Mädchen tituliert wurde und niemand hat sich daran gestört an so einer abfälligen Bemerkung. Und ganz ähnlich erfährt auch A-Punkt, ihren Namen erfahren wir eben nicht. Das berufliche Umfeld, in dem sie sehr mit Geschlechterrollen spielen muss, in dem von ihr auch eine gewisse Attraktivität im Umgang mit Kunden auch, eine Bereitschaft, dass mit ihr geflirtet wird, erwartet wird. Also ein Kontext, in den man sie aber auch immer wieder unterschätzt, was sie irgendwann als Vorteil aber für sich zu nutzen weiß, weil man ihr Dinge nicht zutraut, die sie im Verborgenen ausspielen kann. Und trotz allem stößt sie irgendwann an Grenzen des Machbaren, an die berühmte gläserne Decke oder an die Unmöglichkeit in bestimmten Boys Clubs mitzuspielen, weil eben persönliche Netzwerke dann doch auch über Karrierepositionen entscheiden. Und sie wechselt dann das Metier zu einem anderen international operierenden Unternehmen, die noch sehr viel stärker unter dem Radar operieren. Als es ja in den verschwiegenden Banken im Finanzsystem passiert und dort ist man sehr dankbar für ihre Fähigkeit sich unterschätzen zu lassen und letztlich spielt sie eine ungeheure Machtbreite, Machtfülle aus, die von ihrem Umfeld aber überhaupt nicht gesehen wird und das ist ihr Vorteil.
Susanne Finne-Hörr: Ich überlege jetzt gerade, wie wir den Bogen zur “Beredsamkeit der Dinge” wiederfinden können. Gibt es einen Text, in dem dieses Thema noch aufblitzt? Oder gibt es einen, den du vielleicht noch mal lesen möchtest? Ich meine, so ein bisschen auch in den Stiefel vielleicht? Ja, es gibt...
Isabelle Lehn: Es gibt ja auf jeden Fall das Thema Macht, das war auch mein Ausgangspunkt, diesen Roman anzuschreiben. Ich wollte über Machtverhältnisse schreiben, wobei mein genuines Interesse sicherlich ein Machtverhälter in Geschlechterrollen war, aber man sieht ja auch zwischen Staaten, dem globalen Norden, dem global Süden, Kolonialmächten und ausgebeutet Staaten überall. Wo es um Geld geht, Spielemachtverhältnisse natürlich eine Rolle und Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten auch. Macht kann natürlich auch durch Kleidung repräsentiert werden. Vielleicht lese ich doch den Carrie Bradshaw. Ein sehr aufwendig gestaltetes Kleidungsstück oder Schuhe in diesem Fall sind Ausdruck von Macht, aber wenn einem dieses Kleidungsstück entwendet wird, dann ist es natürlich auch eine Demütigung und eine Entmachtung und das passiert auch in diesem Also das ist zum Objekt Schuhe von hellgrünem Chagrin. Als Carrie auf den roten Sohlen ihrer Pantoletten aus grünem Chagrinsleder durch Midtown klapperte, war ihr weder bewusst, dass ihre Schuhen aus Lahore stammten, noch dass sie einem Raja gehört hatten, der einen Krieg gegen das British Empire auslöste, weil er sich weigerte das Amt des Gouverneurs abzugeben, worauf seine Stadt für acht Monate belagert wurde, bevor die Kolonialmacht obsiegte. Ihm die Schuhe abnahm und diese als Trophäe nach London schickte, ehe sie über Coburg nach Soho gelangten, eine lange Geschichte, von der Carrie nichts ahnte, und trotzdem war sie froh, dass der Senf, der von ihrem Hotdog tropfte, die rechte Schuhspitze, die etwas aufmüpfig aufragte, um Haaresbreite verfehlte. Claudia Stichwort Macht und Machtverhältnisse! Ich melde mich nochmal aus der Schatzkammer. Da gibt es nämlich noch eine andere Spur, eine ziemlich dramatische. Ich übergebe an Frau Volker-Saad: O-Ton Volker-Saad: Dieses Paar Schuhe, das gehört zu einem sensiblen und möglicherweise auch schwierigen Erbe. Wenn man sie erst mal anschaut, denkt man: „Ja, dieses Chagrin-Leder, was ist das eigentlich? Das ist so ein genarbtes Leder vom Rücken eines Rochens oder Hais. Das ist grün gefärbt, hat also dieses Kupfergrün, hat eine edle Form, hat einen leichten Hacken, eine sehr starke, dicke, ornamentierte Ledersohle. Aber innen drin ist es mit Mehrfachleder, das in Ornamenten ausgelegt wurde, bestückt und aus der Beschreibung zu diesem Objekt, aus dem Inventar, weiß ich, dass auch Gold eine große Rolle spielte, das natürlich inzwischen abgerieben wurde. Diese Schuhe im Depot, als ich sie 2020 das erste Mal sah, waren eingedrückt. Dieses Leuchtendgrün war gar nicht mehr zu sehen. Die sahen eigentlich eher ein bisschen schmuddelig aus. Und beim genaueren Betrachten nahm ich dann den vorderen Teil des Schuhs, dehnte es etwas und fand darin einen Zettel. Und dieser Zettel war handgeschrieben und war aus der Zeit Mitte des 19. Jahrhunderts und besagte, dass diese Schuhe aus Lahore gekommen seien und über England nach Coburg. Und dass es Trophäen sein von einer Schlacht und… dass es aus dem Birmanischen Krieg sein solle… Claudia: Moment mal! Ein Zettel? Aus dem 19. Jahrhundert, der Zeit, als die Schuhe aus dem heutigen Pakistan über London und Coburg nach Gotha kamen? Als Kriegsbeute? Was für eine Geschichte! O-Ton Volker-Saad: Da unter. Da unter war der Zettel. Das war hier eingedrückt und dahinter habe ich den Zettel gefunden. Der hier hinter ist. Das ist der Zettel, den ich gefunden habe. Seit 1842 lag dieser Zettel da drin… Claudia: Und wer hat den geschrieben? Jemand aus Gotha? O-Ton Volker-Saad: Ewald, ein Kustos. Das kann man… der unterschreibt das, Ewald. Hier, da sieht man das. Da stand folgendes drauf: Sämtliche Gegenstände sind Kleidungsstücke der verschiedenen Anführer, welche in dem zuletzt geführten Birmanischen Krieg gefangen wurden. Und gehören zu den Trophäen, welche nach England gesendet sind, von wo sie nach Coburg gekommen. […] Bei den Mützen ist ein sassasanischer Raja genannt, bei den Gürteln und Schuhen „Lahore“ bemerkt, bei den übrigen Stücken ist kein Name oder Ort angeführt. Durch wen sind sie wohl nach Coburg gekommen? Gezeichnet: Ewald Also auch hier bedarf es noch weiterer Recherchen, um genau den Kontext zu erfahren, von wem diese Schuhe eigentlich mal entwendet worden sind. Claudia: Es bleibt also viel zu tun in der Schatzkammer des Friedenstein. Zurück ins Studio!
Susanne Finne-Hörr: Wir haben ja die Tradition, dass die Autoren sich gegenseitig vorschlagen. Das heißt, es gibt auch eine Nachfolgerin..
Isabelle Lehn: Ja, das ist Katharina Hartwell aus Berlin, die ich jetzt gleich im Anschluss an dieses Gespräch auch besuchen werde. Susanne Finne-Hörr Bisschen vorwarnen. Isabelle Lehn Ja, ich werde sie vorwarnen, was hier passiert. Nee, das war ja ein sehr schönes Projekt und hat mir selber eben auch nochmal, ja, den Blick nicht nur ins Depot, sondern auch auf diese Objekte sehr intensiv ermöglicht und das war wirklich auch für mich eine schöne Auseinandersetzung.
Susanne Finne-Hörr: Und wenn ihr, liebe Hörerinnen und Hörern, diese Auseinandersetzung oder das Ergebnis dieser Auseinsetzung euch nochmal anschauen möchtet, dann seid ihr herzlich auf den Friedenstein eingeladen. Bis zum 26. April nächstes Jahr könnt ihr euch das noch ansehen, das Ergebnis. Haltet einfach nach den Sesseln Ausschau. Darauf findet ihr dann die textilen Objektexte mit Text von Isabelle und den QR-Codes, die dann zum Audio, die du eingelesen hast, die Texte. Außerdem ist noch ein Booklet erschienen, das habe ich ja gerade schon angedeutet. Das kostet übrigens 5 Euro und könnt ihr bei uns erwerben. Das ist eine Liebhaberausgabe mit Faden gebunden. Also es ist sehr hübsch geworden. Es gibt noch ein Plakat dazu, also sehr zum empfehlen. Wir schreiben das alles in die Shownotes. Ja und eigentlich sind wir ja bei unserer Weihnachtsfolge. Es war jetzt noch gar nicht so richtig weihnachtlich. Gibt es noch etwas Weihnachtliches, das wir erwähnen könnten?
Isabelle Lehn: Das Booklet ist Tannenbaum-grün gestaltet. Dieses Booklet hat ja immer einen ausgestanzten Titel und dahinter ist ein farbiges Blatt, das so durchschimmert und das ist tannenbaumgrün in diesem Fall.
Susanne Finne-Hörr: Das ist ein wunderbares Stichwort. Also erst einmal herzlichen Dank an dich. Freut mich sehr, dass du hier warst. Isabelle Lehn Ja, hat mich auch sehr gefreut. Susanne Finne-Hörr Also wir wünschen euch fröhliche Weihnachten, eine besinnliche Zeit. Dazu vielleicht Plätzchen, Ruhe, Stille, alles, was dazugehört und Tannenbäumchen. Tschüss. Isabelle Lehn Tschüss! Kitschiges Oh Tannenbaum M: Ooooh! Stop it, please! Ich kann es nicht mehr hören! Der vermaledeite (nachäffend) Tannenbaum, oh Tannenbaum mit seinen grünen Blättern! Jedes Jahr flippen meine neuen Untertanen – ähm – meine deutschen Landsleute aus, wenn Weihnachten vor die Tür steht. Da wird abgeholzt und aufgestellt, Lametta gehängt und lieblich gesungen. Ich hätte es wissen müssen und auf meiner Insel bleiben sollen. Aber (seufzen) die herzogliche Pflicht rief, als irgendein entfernter Onkel irgendwo auf dem Kontinent starb. Da war ich – His Royal Highness Prince Alfred, Duke of Edinburgh, Earl of Ulster, Earl of Kent, Duke of Saxe-Coburg and Gotha – der nächste Verwandte… der in den sauren Apfel beißen musste. Jetzt hocke ich hier in Gotha, in der Nähe des Thüringer Waldes, dem Tannenbaum-Paradies. (Seufzen) Und ich habe das englische understatement gegen die deutsche Weihnachtsgemütlichkeit eingetauscht. Hardly a good exchange, indeed! All right, dass sie hier verrückt sind nach ihren Weihnachtsbäumen, das war mir bewusst. Von Kindesbeinen an. Schließlich war mein Vater auch ein Deutscher… und meine Mutter – Queen Victoria – nun ja… irgendwie auch. Aus Hannover. Und als ich gerade vier geworden war… da schnappte die Weihnachtsbaumfalle zu. Da erschien in den Illustrated London News ein Bild, das mich bis heute verfolgt und… als Baumliebhaber verleumdet! Kind: Oh dear, what a lovely tree! So nice! Amazing! Albert: Merry Christmas everybody. Victoria: Albert, my dearest, you have outdone yourself! So beautiful! Sie hören ja selbst. Von links nach rechts: Victoire aus dem Hause Sachsen-Coburg-Saalfeld (die Mutter der Königin), Queen Victoria herself (meine Mutter), Bertie (mein großer Bruder), meine Schwester Helena, meine Wenigkeit, Alice, mein Vater Albert und schließlich meine große Schwester Victoria – die ganze Familie mit strahlenden Augen, in trautem Glück vereint… um einen leuchtenden Weihnachtsbaum herum! Als die Londoner High-Society dieses Bild in der Zeitung sah – da wollte plötzlich jeder einen christmas tree haben und Weihnachten feiern wie die Königsfamilie! Groß und Klein – jeder wollte einen Baum. Und sogar auf dem Markt von Covent Garden stand fortan eine riesige Tanne! So viel zum gemeinen Volk… ähm… den Untertanen. Aber wer den Weihnachtsbaum in unserem Königshaus eingeführt hat – darüber zerbricht man sich bis heute die Köpfe. Mein Vater Albert war es nicht, so viel ist sicher. Er hatte das alljährliche Schmücken des Familienbaumes zwar zur Chefsache erklärt… ähm…. oder eher zur Prinzgemahls-Sache. Denn der wahre Chef – das war seine Frau. Victoria. Und die hat zu Protokoll gegeben, dass sie Weihnachtsbäume schon aus ihrer Kindheit kannte, als Albert noch auf dem Festland herumrannte. Und deswegen streiten zwei deutsche Fürstinnen nun um die Ehre, den Weihnachtsbaum im Vereinten Königreich eingeführt zu haben. Einige behaupten, es war Victorias Tante Adelheid, aus dem Hause Sachsen-Meiningen, Königin von Großbritannien und Irland. Ich hingegen bin mir sicher, dass das Unglück schon eine Generation früher seinen Lauf genommen hat: Adelheids Schwiegermutter (also Victorias Großmutter und meine Ur-Großmutter) hieß Sophie Charlotte zu Mecklenburg-Strelitz; als sie Königin wurde: Queen Charlotte; und als sie starb, nannte alle Welt sie ehrfurchtsvoll „Queen of Botany“. Sie hatte den Botanischen Gärten in London einen echten boost versetzt, denn sie liebte die Pflanzen über alles! Verstehen Sie? Sie liebte die Pflanzen über alles! Sie hätte kein einziges Weihnachten ohne ihr geliebtes Grünzeug feiern können und lud es sozusagen zum Fest mit ein, behängte es mit Klunkerkram und Flitterzeug. Ganz sicher. Ich kann nur froh sein, dass ich jetzt hier in der achteckigen Eingangshalle dieses Museums stehe und meine Ruhe habe. Keine indoor-Botanik, nicht an Weihnachten und niemals. Nur die vier Büsten derer aus dem Hause Sachsen-Coburg und Gotha… M2: Mahlzeit zusammen, Sauerländer Tannenservice. M: Oh je, mir schwant Schreckliches! M2: Ich soll hier nen Weihnachtsbaum aufstellen… schönste Briloner Nordmanntanne. Von wegen feierliche Atmosphäre und so, in dem Museum. So. Steht wie ne eins! Endlich mal was Schönes in dieser kahlen Museumshalle. Sonst stehen hier ja nur ein paar langweilige Marmorbüsten rum. Aber jetzt. Jetzt ist Weihnachten. M: I am really up a tree!
Speaker 3: Der Friedenstein-Funk, das sind Susanne Finne-Hörr, Claudia Klein und Oliver Brod. Heute haben wir mit Isabell Lehn über Fashion- und Bekleidungsvorschriften geplaudert. Kerstin Volker Saad hat uns von einem mysteriösen Paar Schuhe berichtet. Und ein genervter Herzog hat sich über deutsche Weihnachtsbäume mokiert. Danke fürs Zuhören, einen guten Rutsch und bis zum nächsten Friedensteiner Funkenschlag.
Speaker 6: Vergiss den Weihnachtsbaum! Abonniere lieber diesen Podcast!
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