#07 Ukraine-Sonderfolge zum 24. August 2022

Shownotes

Vor sechs Monaten hat Russland die Ukraine angegriffen. Was für die meisten von uns unvorstellbar war, ist jetzt Alltag. Seit dem 24. Februar sind in der Ukraine Menschenleben in Gefahr… und Kulturgüter. Auch für Anna Aliieva und Mariana Musii ist nichts mehr so, wie es vor dem 24. Februar 2022 war. Sie sind mit ihren Töchtern geflohen. Auf dem Friedenstein haben die beiden einen Platz gefunden, an dem sie arbeiten können, mit Gotha einen Ort, an dem ihre Töchter sicher sind. Seitdem haben wir zwei neue, engagierte Mitarbeiterinnen. Ein Podcast über das gemeinsame Arbeiten und wie es überhaupt dazu kam. Mit dabei in der Sonderfolge des Friedenstein-Funk: der Thüringer Kulturstaatsminister Benjamin-Immanuel Hoff, Martin Hoernes von der Ernst von Siemens Kunststiftung und den Friedensteinerinnen Anna, Mariana und Anastasia

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Friedenstein-Funk: Sonderfolge Ukraine zum 24. August 2022

Skript: Dagmar Trüpschuch

Sprecher über Jingle:

Sprecher über Jingle: Hallo und herzlich willkommen beim Friedenstein-Funk, dem Podcast der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha. Nach einer langen Pause melden wir uns wieder. Mit einer Sonderfolge zum 24. August 2022. Denn vor genau sechs Monaten hat Russland die Ukraine angegriffen. Was für die meisten von uns unvorstellbar war, ist jetzt Alltag. Seit dem 24. Februar sind in der Ukraine Menschenleben in Gefahr… und Kulturgüter.

Sprecher über Jingle: Auch für Anna Aliieva und Mariana Musii ist nichts mehr so, wie es vor dem 24. Februar 2022 war. Sie sind mit ihren Töchtern geflohen. Auf dem Friedenstein haben die beiden einen Platz gefunden, an dem sie arbeiten können, mit Gotha einen Ort, an dem ihre Töchter sicher sind. Seitdem haben wir zwei neue, engagierte Mitarbeiterinnen. Und das verdanken wir Anastasia Yurchenko, der Provenienzforscherin der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha. Sie ist gebürtige Russin, lebt seit mehr als 20 Jahren in Deutschland und hatte sich für die Frauen eingesetzt.

Yurchenko:

Yurchenko: Ich bin in Moskau geboren, aber ich lebe in Gotha und ich bin sehr glücklich in Gotha.

Yurchenko: Störgeräusch

Yurchenko: Da meine ethische oder berufliche Identifikation für mich wertvoller ist als Identifikation mit meinem Geburtsort, unterstütze ich, auch im Namen der Stiftung Schloss Friedenstein, die Kollegen, die jetzt leiden.

Sprecher:

Der Anfang des Krieges vor sechs Monaten machte sie fassungs – aber nicht hilflos:

Yurchenko:

Anfang des Krieges hat mich fassungslos gelassen. Es war tragisch, dramatisch. Es war eine Tragödie. Viele waren geschockt. Die ganze Welt. Man wusste nicht, was zu tun. Und... Ich denke, dass nach einer relativ kurze Phase der Zerrissenheit habe ich mir überlegt: Okay. Momentan leiden so viele Menschen und ich sitze hier in eigentlich wunderschönes Schloss Friedenstein Gotha. Und ich darf es mir auch nicht erlauben, jetzt in Selbstmitleid zu fallen und passiv zu sein. Und so an zweiten Tag des Krieges habe ich einen Brief verfasst an ICOM Ukraine, the International Council of Museum Ukraine, den Brief von der Adresse Stiftung Schloss Friedenstein abgesendet, wo ich einfach unsere Hilfe angeboten habe, unsere Expertise, unsere Unterstützung. Ich habe geschrieben: Sie können sich auf uns verlassen und den Brief habe ich abgesendet. Und kurz danach habe ich dann die Anrufe erhalten von unterschiedliche Kollegen aus Museen, Direktoren der unterschiedlichen Institutionen, auch Künstlerinnen, die mir ihre Geschichte erzählt haben und ihre Geschichte waren…. Waren... von waren alle... tragisch.

Sprecher:

Anastasia hat gehandelt – gemeinsam mit Martin Hoernes, dem Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung . Die Stiftung hatte über Nacht ein Programm aus dem Boden gestampft, das Kulturschaffenden aus der Ukraine hilft, in Deutschland Fuß zu fassen. Martin Hoernes erinnert sich noch genau an den Tag vor sechs Monaten:

Hoernes:

Und am 24. Februar – na, das erste, was man macht: Man überlegt sich Was kann man tun? Und mit einer Stiftung kann man alles tun. Und es war wunderbar, wie unser Stiftungsrat innerhalb von 24 Stunden uns die 2 Millionen freigegeben hat, um diese Ukraine-Förderlinie auf den Weg zu bringen. Und das heißt, wir waren sehr schnell am Start und haben immer mal wieder nachjustiert. Wie macht man das? Wie? Welche Art Hilfe ist für die Museen und für die Ukrainer*innen die sinnvolle?

Sprecher:

Sprecher: Mit diesem Programm sind auch Anna Aliiva und Mariana Musii nach Gotha gekommen. Mittlerweile arbeiten auch andere Kunsthistoriker*innen und Restaurator*innen aus ukrainischen Museen in mehreren deutschen Museen. Die Ernst von Siemens Kunststiftung übernimmt dabei die Kosten, die durch die Anstellung entstehen. Lediglich zehn Prozent muss die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha gegenfinanzieren. So können die Menschen hier direkt weiterarbeiten.

Hoernes:

Hoernes: Also diese Synergien, das ist etwas, was wir fördern. Und es ist nicht ein Stipendium und die Leute sitzen hier rum und machen nichts, sondern es haben beide was davon. Die Geflüchteten arbeiten in ihrem Beruf, verdienen richtig Geld und das Museum hat auch was davon.

Musii:

Musii: Due to this situation, we can exchange our experiences, share something, we can bring something to you and we can learn something from you …I can bring our approaches for the marketing and promotional approaches into existing system, if we are talking particularly about Friedenstein Castle. So despite the lack of German language, the algorithm mechanisms of work are pretty much the same because tools are the same SMN, digital marketing or whatever.

Musii: Voice Over

Musii: Durch diese Situation können wir Erfahrungen untereinander austauschen, etwas teilen, wir können euch etwas bringen und wir können etwas von euch lernen ... Ich kann zum Beispiel verschiedene Impulse für Marketing und Werbung in das bereits bestehende System auf dem Friedenstein einbringen. Das funktioniert – auch wenn ich der deutschen Sprache noch nicht mächtig bin. Die Tools sind überall ähnlich – egal ob in den sozialen Medien oder im digitalen Marketing - die Algorithmen sind die gleichen.

Sprecher:

… sagt Mariana Musii. Sie ist Marketing-Spezialistin im Bereich Kultur und hat in Kiew für eine der größten Film-Produktionsfirmen in Osteuropa gearbeitet. Ihre Kollegin Anna Aliieva ist Kunsthistorikerin und auf zeitgenössische ukrainische Kunst spezialisiert. Zuletzt hat sie am Nationalen Kunstmuseum der Ukraine in Kiew gearbeitet. In der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha macht sie sich gerade mit der Sammlung der Moderne vertraut und ist im Bereich Provenienzforschung tätig. Anna, Mariana und ihre Kinder sind in Sicherheit. Die Frauen arbeiten wieder im Kulturbereich. Gleichzeitig aber müssen sie zusehen, wie die Kulturlandschaft in ihrer Heimat zerstört wird. Anna Aliieva ist besorgt:

Aliieva:

Aliieva: Antwort auf Ukrainisch

Aliieva: Voice Over

Aliieva: In den besetzten Gebieten gibt es derzeit eine äußerst komplizierte Situation. Russische Truppen plündern Museumssammlungen, insbesondere interessiert sie das Gold der Skythen in den Museen. Was wir tun können ist, Informationen zu sammeln und zu registrieren, was vermisst wird. Aber im Moment ist das nicht möglich, weil es keine Verbindung und keine Kontrolle gibt, mit den Gebieten, die unter russischer Kontrolle stehen. Aus meiner Sicht möchte ich in diesem Zusammenhang hinzufügen, dass die internationale Museumsgemeinschaft, die kulturelle Gemeinschaft, dieses Thema nicht vergessen sollte.

Sprecher:

Sprecher: Vergessen kann der Thüringer Kulturstaatsminister Benjamin-Immanuel Hoff das auf keinen Fall! Über Nacht hat auch das Land Thüringen Geld locker gemacht, unter anderem, um Kulturgüter in der Ukraine zu schützen. Es hat sich an der Bundesinitiative „Netzwerk Kulturschutz Ukraine“ beteiligt und einen Transport auf den Weg geschickt, um die Kulturschätze in den rund 400 Museen und 3000 Kulturstätten zu schützen. Der Krieg in der Ukraine nimmt ihn mit. Doch bei all dem Grauen, das vor seiner Haustür passiert, weitet er den Blick auf das Grauen, das zeitgleich weltweit stattfindet.

Hoff:

Hoff: Ja, ich glaube, wichtig ist bei allem Entsetzen, das wir über die Ukraine empfinden, immer auch daran zu erinnern, dass die Zerstörung von kultureller Identität, die Zerstörung von Weltkulturerbe, die Tötung von Menschen kein Phänomen ist, das im Februar 2022 seinen Anfang genommen hat. Wir haben nur häufig einen sehr eurozentristischen Blick auf das, was in dieser Welt passiert. Und wenn ich darauf hinweise, dass in Syrien kulturelle Identitäten zerstört werden, dass in Afghanistan durch ihn durch die Taliban Kulturgüter zerstört worden sind. Wenn wir uns daran erinnern, was eben auf der arabischen Halbinsel an Konflikten stattfindet, was in Afrika an Konflikten stattfindet, dann stellt das überhaupt kein Leid in Frage, das die Menschen in der Ukraine derzeit empfinden. Es ist nur so, dass wir uns vergegenwärtigen müssen, dass die Ukraine uns möglicherweise räumlich näher vor Augen führt, was auf dieser Welt passiert. Das ist mir immer ganz wichtig , wenn wir darüber sprechen, weil es aus meiner Sicht keine Opfer erste und zweiter Klasse gibt, so wie es auch keine Geflüchteten erster und zweiter Klasse geben darf.

Hoff: Es muss aus meiner Sicht auch möglich sein, dass Menschen aus anderen Konfliktgebieten in gleicher Weise unkompliziert Aufnahme finden. Wir entsprechende Förderprogramme, die wir jetzt auch für die Ukraine auflegen, beispielsweise auch für andere Regionen dieser Welt zur Verfügung stellen.

Und insofern ist es, glaube ich, unsere Aufgabe insgesamt, den Ukraine-Krieg auch als einen Anlass zu nehmen, uns darüber zu verständigen: Wie können wir aus europäischer Perspektive mit unseren Möglichkeiten dazu beitragen, dass Kriege verhindert werden, dass Kulturgüter geschützt werden können?

Sprecher:

Sprecher: Entspringt also aus der grauenvollen Situation vielleicht doch ein Funke der Hoffnung? Wir werden es sehen. Fürs Erste haben ein gutes Dutzend ukrainische Kunsthistoriker*innen, Kurator*innen und Künstler*innen in Deutschland ein neues berufliches Umfeld gefunden – dank der Ernst von Siemens Kunststiftung. Das Land Thüringen und die Bundesinitiative bemühen sich, die Kulturschätze in der Ukraine zu schützen. All das ist wichtig. Denn ein Ende des Krieges ist auch nach sechs Monaten nicht in Sicht. Anna Aliiva und Mariana Musii können so bald nicht nach Kiew zurückkehren. Doch sie haben sich auf dem Friedenstein eingelebt … und den Arbeitsalltag aller Mitarbeitenden verändert. Die Teambesprechungen am Montagmorgen finden jetzt auf Englisch statt.

Sprecher: Atmo Diskussion auf Englisch

Niemand war auf eine solche Situation vorbereitet, nun geben beiden Seiten ihr Bestes:

Musii:

Musii: We are grateful to Friedenstein Castle team for welcoming us. We really do appreciate that and we appreciate that the Ernst Siemens Foundation for providing that safe opportunity, for a safe cultural exchange between us. And despite all the background of this situation, we are trying to do our best from both parties and the team and us to make those cultural ties closer and to build the future together.

Voice Over:

Voice Over: Wir sind dem Team auf dem Friedenstein dankbar, dass sie uns so gut aufgenommen haben. Wir schätzen das wirklich sehr, und wir wertschätzen auch, dass die Ernst von Siemens Kunststiftung es uns ermöglicht, sicher zu sein, sodass wir in Sicherheit diese kulturellen Austausch führen dürfen. Und trotz des eigentlichen Grunds, der uns in diese Situation überhaupt gebracht hat, versuchen wir alle – wir und das Team – unser Bestes zu geben, sodass wir die kulturellen Verbindungen enger knüpfen und eine gemeinsame Zukunft aufbauen können.

Sprecher:

Dennoch: Wie es weitergehen wird, weiß niemand. Wann wird der Krieg zu Ende sein? Was kommt danach? Doch eins ist sicher: Der kulturelle Austausch, der jetzt stattfindet, ist wertvoll. Davon ist auch Anastasia Yurchenko überzeugt:

Yurchenko:

Was mir ein Anliegen ist zu sagen: Das ist Bereicherung für beide Seiten. Ich sehe es wirklich nicht als Akt der Unterstützung, sondern ich sehe es wirklich als Dialog, wo es dann ein Erfahrungsaustausch ist, wo beide Seiten für deutsche Museen, für Stiftung Schloss Friedenstein, für die ukrainische Museen und Anna hat mir auch mehrmals gesagt, dass, nachdem der Krieg zu Ende ist, könnte sie mit der Erfahrung, die sie gesammelt hat, in der Stiftung Schloss Friedenstein, die ukrainische Museen weiter unterstützen und bereichern und das wäre einfach eine spannende Perspektive.

Sprecher:

Sprecher: Ihr Einsatz, die Frauen nach Gotha zu holen, war für sie selbstverständlich. Denn …

Yurchenko:

Yurchenko: Unabhängig davon, welche Farbe der Pass der Kollegen hat, weil das… wir sprechen alle die gleiche Sprache. Es ist nicht Deutsch oder Englisch oder Ukrainisch oder Russisch, die wir sprechen. Wir sprechen alle eine Sprache der Liebe und Sprache der Liebe zur Kunst. Und diese Sprache vereint uns. Und ich bin gern dort, wo wir einig sind. Ich suche gern nach einer Synthese, nach einer Einheit. Und Liebe zur Kunst, das ist, was uns vereint. Oder Liebe zur Kultur, Liebe zur Geschichte. Und da sehe ich mich.

Sprecher:

Sprecher: Die Liebe zur Kunst – vielleicht ein kleiner Hoffnungsschimmer in düsteren Zeiten, nach sechs Monaten Krieg?

Sprecher: Jingle

Und das war’s auch schon: unsere Sonderfolge des Friedenstein-Funk … mit Kulturstaatsminister Hoff, Martin Hoernes von der Ernst-von-Siemens-Kunststiftung und den Friedensteinerinnen Anna, Mariana und Anastasia. Wir hoffen, es hat euch gefallen, und sagen: Danke fürs Zuhören und bis bald! Euer Friedenstein-Funk!

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